Zwischen Sternenstaub und Muskelkater – über erste und letzte Male

Stell dir vor, ein Raumschiff fliegt seit Jahrzehnten durchs All.
Es ist gut konstruiert, verlässlich. Die ersten kleinen Dellen und Kratzer im Rumpf lassen sich problemlos wegpolieren. Später tauscht man Bauteile aus, ersetzt und flickt. Das Raumschiff fliegt weiter.

Aber irgendwann gehen die Ersatzteile aus.
Dann wird improvisiert. Mit Duct Tape und Spucke, Erfahrung und Hoffnung. Man kennt die Stellen, an denen es knackt. Weiß, wie man das Warnsystem austrickst, wenn es blinkt. Und trotzdem: die ersten Subsysteme geben langsam auf. Erst eins, dann ein anderes. Nicht dramatisch. Leise, aber endgültig.

Das Raumschiff fällt nicht spektakulär auseinander. Es altert langsam, aber unerbittlich und unausweichlich. Und irgendwann, das wissen alle an Bord, wird ein Tag kommen, an dem es nicht mehr reicht. Wenn uns nicht vorher ein Sonnensturm oder die Kollision mit einem Asteroid unerwartet trifft.


Ich denke manchmal an dieses Bild.
An den Körper als Raumschiff.
An die Lebenszeit als Flug durch unbekannte Weiten.

Und an all die ersten Male, besonders, seit ich Kinder habe.
An die ersten Schritte, den ersten Schultag, die erste Liebe. Gestern hatte meine älteste Bonustochter Jugendweihe und sah wunderschön und erwachsen aus. Wie stolz wir sind und wie sehr wir sie feiern.

Und irgendwann beginnen die letzten Male.
Viele davon bemerken wir in dem Moment gar nicht: Das letzte Mal, dass ich meine jüngste Tochter auf den Arm genommen habe? Das letzte Mal, dass meine Älteste nachts zu mir ins Bett gekrabbelt kam nach einem Albtraum? Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, habe es nicht festgehalten als besonderen Moment.
Andere zelebrieren wir bewusst, weil wir ahnen, dass sie bedeutend sind. Letzte Schultage. Abschiede von Großeltern, die weit weg wohnen. Die letzte Umarmung mit einem bestimmten Menschen.

Abschied und Übergang verschwimmen oft.
Manchmal wird aus einem „Ich mache das mal seltener“ ein „Ich mache das nie wieder“.


Heute ist so ein Tag.
Ich bin heute keinen Halbmarathon gelaufen.

Nicht, weil ich es nicht wollte.
Sondern weil mein Rücken sich vor ein paar Wochen querstellt hat und ich nicht ausreichend trainieren konnte. Ich wusste, dass ich zwar sicher ankommen würde aber mit einem Muskelkater des Todes – und einem Nervensystem, das mich drei Tage lang hassen würde.

Früher bin ich einfach gelaufen. Aus dem Stand. Kein Thema.
Heute muss ich abwägen. Hören. Rücksicht nehmen.

Ich bin noch in diesem Übergang, wo ich mir sagen kann: „Wenn ich wieder mehr trainiere, geht das wieder.“
Und gleichzeitig sehe ich ihn da hinten am Horizont: Tag X.
Der Tag, an dem ich merke: Es geht auch mit Training nicht mehr.
Der Tag, an dem das Raumschiff nicht mehr repariert werden kann, sondern einfach zu alt ist für diese Strecke.

Ich hoffe, dieser Tag ist noch weit weg.
Aber ich weiß, dass er irgendwann kommt.


Bis dahin?

Solange noch Energie fließt, Systeme arbeiten und das Steuer auf meine Signale reagiert, will ich neue erste Male suchen.
Neue Erinnerungen sammeln.
Neue Geschichten erleben. Und dankbar auf den reichen Schatz aus letzten Malen zurückblicken, auch wenn das manchmal wehmütig macht.

Akzeptanz und Loslassen als bewusste, liebevolle Flugmanöver.


Schön, dass du da bist.


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