Gerade ist bei mir vergleichsweise wenig los. Keine hohe Termindichte, keine laufende Vortragsreise, keine akuten Abgaben, die mir im Nacken sitzen. Auf dem Papier: genau das, was ich mir in stressigen Phasen so oft wünsche. Weniger Termine. Weniger äußerer Druck. Mehr Luft, mehr Freiheit. Und ja – es ist eine Erleichterung. Für eine Weile.
Aber dann passiert etwas, das ich super spannend finde, weil ich es zuvor nur geahnt, aber noch nie so intensiv und bewusst wahrgenommen habe: Sobald diese äußere Struktur wegfällt, „explodiert“ mein Inneres (und das ist wirklich das passendste Wort dafür, wie es sich in meinem Kopf anfühlt). Manchmal gar kein schlechtes Gefühl, aber definitiv nicht dauerhaft alltagstauglich und sehr, sehr anstrengend.
Wenn ich unter Zeit- und Termindruck stehe (besonders, wenn ich verantwortlich bin oder andere von mir abhängig sind), bin ich gezwungen, Prioritäten zu setzen. Ich muss viele Aufgaben gleichzeitig jonglieren, bewerten, sortieren, Vieles weglassen. Das frustriert mich zwar oft, weil vieles liegen bleibt und ich das Gefühl habe, der Tag hat nie genug Stunden und Dinge, die mir wichtig sind oder Freude machen, kommen zu kurz – aber es strukturiert auch. Ohne diesen Druck ist plötzlich alles gleich wichtig. Mein Gehirn wird frei, jedem Schmetterling zu folgen.
Und das passiert: Ich genieße es, an einem Vormittag an meiner Webseite zu basteln, Barrierefreiheit zu optimieren, Plugins zu suchen, die Spracheinstellungen zu regeln – und tauche völlig ab. Aber:
- Ich vergesse, mich zu bewegen, zu essen, schiebe andere Dinge immer wieder hinaus.
- Ich schaffe viel weniger als sonst, obwohl ich mehr Zeit habe. Die Liste schrumpft nicht. Das gute Gefühl, etwas abgehakt zu haben, fehlt. Dopamin bleibt aus. Und dann kommt er wieder: der Stress, weil das „eigentlich Wichtigste“ noch wartet.
- Ich verliere mich sowohl im kleinsten Detail als auch in 1000 neuen Ideen. Jeder Podcast, den ich höre, jedes Gespräch, das ich führe, jeder Artikel, den ich lese, bringt Gedanken, neue Ansätze, Aufgaben in Form von „dies mal ausprobieren, jenes weiterleiten, das dazu noch recherchieren, denjenigen dazu fragen“. Und alles scheint gleich bedeutend. Ich schreibe es auf. Aber die Liste wächst schneller, als ich sie abarbeiten kann. Und die eigentliche Idee dieser Phase, die Liste zu leeren, verliert sich.
Mein inneres Gleichgewicht zu halten, wird zum Kraftakt. Ich lande wieder beim Gefühl, dass der Tag nie genug Stunden hat. Ich war schon mehrfach kurz davor, wieder Termine durch neue Buchverträge, Workshops, Projekte zu erzeugen, nur, um mir selbst den äußeren Rahmen zur Ordnung im Kopf zu schaffen. Aktuell widerstehe ich noch, weil ich dem Prozess vertraue und schauen möchte, was sich herauskristallisiert und entwickelt, wenn ich das noch eine Weile länger aushalte.
Das zeigt mir erneut, was ich eigentlich schon weiß, aber nochmal neu spüren musste:
Völlige Freiheit funktioniert für mich nicht. Ich wäre dann vermutlich eine in ihren Welten schwebende Buch-und-Pflanzen-Lady, die selten duscht oder isst. Permanenter Hochdruck als Gegenteil macht mich auf Dauer jedoch auch krank. Was ich brauche, ist ein Zustand dazwischen. So wie beim Tauchen: Immer wieder neu austarieren. Nicht ganz nach oben schießen, nicht absacken. Das Bild hilft mir sehr.
Gerade löse ich das für mich so:
- Alles notieren, was kommt – aber nicht alles sofort tun.
- Zeitfenster setzen, Prioritäten definieren.
- Mir „Nerd-Halbe-Tage“ gönnen, in denen ich konzentriert abtauche.
- Mich zu Sport, Kochen und Orga-Aufgaben zwingen – weil ich weiß, wie gut es sich anfühlt, wenn ich erstmal drin bin. Selbstfürsorge zur absolut obersten Prio zu machen (wie im Flieger: „Maske zuerst selber auf, dann anderen helfen“) fällt mir dabei noch immer sehr schwer.
Ich bin so dankbar für die Anteile in mir, die mich funktional halten. Die mich immer wieder ins Gleichgewicht bringen. Nicht perfekt. Aber gut genug.
Und vielleicht geht es genau darum: Nicht zwischen Druck und Chaos zu zerrieben zu werden. Sondern sich dazwischen auszubalancieren. Immer wieder neu. Mit Geduld. Und einer guten Portion Selbstmitgefühl.
Schön, dass du da bist.
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